Pandemie und Ungleichheit

18. Dezember 2020

Der Normalzustand ist das Problem

Der Hauptgesichtspunkt der Regierenden, in den Kapitalgeführten Gesellschaften, ist die geldliche Förderung des „Unternehmertum“. So hat die Lufthanse für jeden der entlassen Beschäftigten, oder in den nächsten Monaten von Entlassung bedrohten, knapp 230.000 € Unterstützung erhalten.

Oder auch z.B. aus dem Gastronomiebereich und Einzelhandel werden 75 % des Vorjahresumsatzes als Ausgleich ausgezahlt. Wohlgemerkt Umsatz und nicht Gewinn. Zum Umsatz gehören alle Waren die eingekauft werden für die Betriebsführung. Getränke und Kleidung gehört zum Umsatz. Das wird dann gleich so betrachtet als ob alles vernichtet wird in der Zeit. Im Kapitalismus nicht unüblich.

Das Kurzarbeitergeld z.B liegt deutlich niedriger.

International betrachtet: Die Corona-Pandemie legt seit Monaten die weltweit herrschenden gesellschaftlichen Ungleichheiten erbarmungslos bloß. Während in Europa die zweite Welle der Ausbreitung des Corona-Virus Bahn gebrochen hat, kostet die Pandemie in anderen Teilen der Welt ungebrochen extrem viele Menschenleben. Insbesondere „Minderheiten“ sind davon – nicht nur in den USA – ungleich stärker betroffen, sowohl gesundheitlich als auch materiell. Denn sie haben aufgrund des herrschenden strukturellen Rassismus einen schlechteren Zugang zu gesundheitlicher Versorgung und sind überproportional häufig von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen.

National betrachtet: Auch in Deutschland bleiben insbesondere diejenigen Menschen gefährdet, die sich ein Social Distancing schlichtweg finanziell nicht leisten können. Auch Hartz-IV-Empfänger*innen sind von einer Infektion mit Corona um ein Vielfaches stärker betroffen. Geringverdienende und Erwerbslose leiden besonders stark unter der Corona-Krise, die auch in ökonomischer Hinsicht existenzbedrohend ist. Selbst die „Corona-Warn-App“ reproduziert die herrschenden Verhältnisse: Die Anforderung nach einem Smartphone mit den nötigen technischen Voraussetzungen schließt einmal mehr Geringverdienende und solche aus, die gar kein Mobiltelefon besitzen: Wer die App nutzen will, muss es sich leisten können. Natürlich gab und gibt es mehr als genug Gründe, sich aus grund- und menschenrechtlicher Sicht kritisch mit den Maßnahmen und den massiven Grundrechtseinschränkungen zu beschäftigen und dieser Kritik Ausdruck zu verleihen. Die Eingriffe waren und sind massiv und sehr pauschal, beispielsweise die komplette Aussetzung des Versammlungsrechts. Dies wurde mit guten Gründen vom Bundesverfassungsgericht gekippt.

Auch ausladende Bußgeldkataloge und Strafverfahren wegen Verstößen gegen die Corona-Anordnungen, sowie die Disziplinierung der Bürger*innen durch Polizei und Ordnungsamt sind besorgniserregende Methoden.

Bei den schnell von der organisierten Rechten dominierten Demonstrationen wird jedoch immer wieder deutlich: Es geht vielen Anwesenden vor allem um ihre eigenen Befindlichkeiten. Rücksicht auf Angehörige von Risikogruppen oder ein Bezug auf die Folgen der herrschenden Ungleichheiten aufgrund struktureller Bedingungen wird weder auf den Veranstaltungen noch in Redebeiträgen genommen.

Covid-19 als Herausforderung linker Politik

Internationale Beziehungen, staatliche Ordnungspolitik und Leistungen der Daseinsvorsorge, Recht auf Arbeit und Teilnahme am Wirtschaftsleben, Chancen der privaten Lebensgestaltung, im Umgang mit Covid-19 ändern sich gesetzte Regeln wie die Richtung persönlicher Entscheidungen. Der Trend kann als Schrittfolge in Richtung einer „verwalteten Welt“ kritisiert werden, die per „Zwangsvergesellschaftung und Anonymisierung von Herrschaft, die auf die Liquidierung des Individuums und die Eliminierung des Nichtidentischen abzielt. Durch die ihr eigene Tendenz, alle Spontaneität abzuwürgen, lässt die verwaltete Welt alle ‚Schlupfwinkel verschwinden‘. Es findet eine totale Kontrolle, eine widerstandslose Integration der gleichgeschalteten Individuen statt.“(Wikipedia-Eintrag „Verwaltete Welt“, nach Adorno.)

Diese, in die linken Diskurse der alten BRD tief eingesunkenen kritischen Begriffe eignen sich zur Kritik von politischen als Sachzwang markierten Diktate und von vorauseilendem Gehorsam geprägter öffentlicher Meinung. Sie begründen ein Recht auf Widerstand auch und besonders durch abweichendes, widersetzliches Verhalten. Ob Gebrauch des Rechts auf Wehrdienstverweigerung, positiven Gedenkens an Wehrmachtdeserteure, Bekenntnis und Ausleben der sexuellen Orientierung, die Reihe der Beispiele ist lang und beeindruckend. Abweichende Meinung, unterstrichen durch demonstrativ abweichendes Handeln, bildet in der hoch arbeitsteiligen, global vernetzten Industrie- und Wissensgesellschaft ein unverzichtbares Gegengewicht zur Macht der Institutionen und der sanktionsbewehrten Logik der Systemabläufe. Diese politischen Strategien sollen und können das Handeln von Institutionen beeinflussen.

Begrenzte Regelverletzung als politische Strategie / Atemluft als geteiltes Gut

Die Weltkarte der Verbreitung zeigt ein weltweites Infektionsgeschehen. Medium der Verbreitung ist geteilte Atemluft, die als Aura bezeichnet wird und sich bildet, wenn Personengruppen auf engem Raum Kontakt pflegen und dann auseinandergehen, um sich in anderer Kombination, mit anderen Leuten, an anderen Orten, neuerlich zu gruppieren. Dieses Bewegungsmuster ist für die hoch arbeitsteiligen Industrie- und Wissenschaftsgesellschaften typisch und eine Voraussetzung für Produktivität durch Spezialisierung. Die damit verbundene Vereinzelung erzeugt den Bedarf an Geselligkeit, die voneinander sonst weit getrennte Leute zusammenbringt. Bei all diesen Gelegenheiten geht es eng zu – Face-to-Face. Im heutigen Siedlungsgeschehen ist eine ökologische Nische entstanden, in der Covid-19 gedeihen kann und sich festgesetzt hat. Das Phänomen ist nicht neu. So wurde die moderne Industriestadt für die Choleraerreger durch Einrichtung von Wasserversorgung und Kanalisation unwirtlich, und dabei wurden Übertragungswege verbaut, die auch für andere Infektionskrankheiten gangbar gewesen waren. Es änderten sich auch die Regeln zum Umgang mit denen eigenen Exkrementen. Inzwischen ist „wildes Urinieren“ ein Skandal und Tüten für den Hundekot Zwang. Der öffentliche Raum trat als geteilter Raum ins Bewusstsein. Vergleichbares geschieht jetzt mit der Wahrnehmung der Atemluft.

Die Anforderungen an Technik und Organisationsabläufe werden erheblich sein. Das individuelle Verhalten wird mit sanktionsbewehrten Regeln konfrontiert. Lüften und Maske sind lästig. Wer bestreitet, dass solche Regeln zweckdienlich bzw. verhältnismäßig sind, kann die Verfahren der begrenzten Regelverletzung trotzdem nicht anwenden. Weil und soweit die Atemluft geteiltes Gut ist, entsteht daraus ein Übergriff in die Rechte anderer. Wer mich in der U-Bahn anhustet, handelt nicht widerständig, sondern unsolidarisch.

Wie tickt der Staat? Das erste Risiko der Staatsgewalt ist die Erschütterung ihrer Legitimation. Wenn eine Behandlung der Krankheitsfälle nicht mehr möglich ist, würde das Versprechen von Daseinsvorsorge und Achtung der Menschenwürde hohl. Die nächste Priorität hat die Eindämmung des Infektionsgeschehens, das sich in den täglichen Infektionszahlen abbildet. Die Möglichkeit, das Infektionsgeschehen nachzuverfolgen, belegt oder kontert den Anspruch effektiver Verwaltung. Ein weiterer Punkt sind die Haushaltsrisiken, die durch Ersatzleistungen und Einnahmeausfälle entstehen.

Schon wegen der Achtung der Menschenwürde ist die Gewährleistung der Behandlung ein prioritäres Ziel auch der linken Politik. Ebenso kann die Tatsache einer Covid-19-Infektion nicht als Privatsache behandelt werden. Trotzdem muss ein Weg gefunden werden, die dabei entstehende Datenmasse vor Zugriffen für ganz andere Zwecke der Administration zu sichern. Schließlich bleibt die Frage, wie die entsprechenden Gesetze zu gestalten sind, damit das Publikum die Chance hat, Art und Ausmaß administrativer Maßnahmen zu kontrollieren. (Alfred Ebeling / PB 5/2020)

 

Pressemitteilung zur Entwicklung eines Impfstoffs gegen SARS-CoV-2

15.11.2020

Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte kritisiert „Impfstoff-Nationalismus“ und private Profite bei Impfstoffentwicklung

Die Pharmaunternehmen Pfizer Inc. und BioNTech SE gaben in einer Pressemitteilung vom 9. November 2020 (1) ein positives Zwischenergebnis in der Entwicklung eines Impfstoffs gegen SARS-CoV-2 bekannt. Eine transparente Überprüfung durch die globale Wissenschaftsgemeinschaft steht noch aus. Währenddessen behindert die deutsche Bundesregierung eine global gerechte Impfstoffverteilung; Profitmaximierung als grundlegendes Prinzip der beteiligten Unternehmen wird zu wenig hinterfragt.

Solidarität statt Nationalismus

Wie bei anderen Impfstoffkandidaten haben sich auch in diesem Fall wenige reiche Staaten, darunter auch Deutschland, schon den größten Teil des Impfstoffs in intransparenten Vorverträgen gesichert. „Es ist nicht absehbar, dass ein vielleicht in näherer Zukunft anwendbarer Impfstoff gegen SARS-CoV-2 als öffentliches Gut allen Menschen in gleichem Maße zu Gute kommen wird. Was wir beobachten, ist ein verschärfter ‚Impfstoff-Nationalismus‘, der auch von der deutschen Bundesregierung vertreten wird“, kritisiert Andreas Wulf, Mitglied im Vorstand des vdää, und fügt hinzu: „Teil einer gerechteren, nachhaltigeren Strategie wären Transparenz der Verträge und Kalkulationen für den geplanten Verkaufspreis des Impfstoffs, die Überführung von Daten, Lizenzen und Know-How in den Covid19 Technology Access Pool bei der WHO und ein rascher globaler Technologietransfer.“

Privater Reichtum durch Arzneimittelherstellung ist keine Erfolgsgeschichte

Mit der Meldung positiver Forschungsergebnisse wurde in vielen Presseberichten auch die „einzigartige Erfolgsgeschichte“(2) von BioNTech erzählt. „Dieser öffentliche Diskurs ist symptomatisch für die scheinbare Alternativlosigkeit einer profitorientierten Arzneimittelherstellung, die letztlich auch den ‚Impfstoff-Nationalismus‘ befördert, weil die zahlungskräftigsten Abnehmer*innen bevorzugt werden“, gibt Felix Ahls, Mitglied im Vorstand des vdää, zu bedenken. „Für uns ist es aber nicht selbstverständlich, dass Arzneimittelherstellung zur Steigerung privaten Reichtums genutzt werden kann.“
Pharmakonzerne funktionieren dabei aber nur in dem von Regierungen bereitgestellten Rahmen. Dieser Rahmen muss im Sinne globaler Solidarität und Gemeinwohlorientierung verändert werden. Wie bei BioNTech sind es immer auch relevante öffentliche Forschungs- und Entwicklungsgelder, die solche Innovationen ermöglichen. Diese Investitionen müssen die öffentliche Nutzung der Ergebnisse sicherstellen und nicht in erster Linie privaten Reichtum fördern.
Eine gemeinwohlorientierte Pharmaindustrie aufzubauen, Patentrechte nicht über Menschenrechte zu stellen und den globalen Wissensaustausch im Bereich der medizinischen Forschung zu vertiefen, sind zukunftsweisende Lehren, die aus der Covid-19-Pandemie gezogen werden müssen.

Im Namen des Vorstands

Felix Ahls und Andreas Wulf

(1) https://investors.biontech.de/de/news-releases/news-release-details/pfizer-und-biontech-geben-erfolgreiche-erste-zwischenanalyse

(2) https://www.rnd.de/wirtschaft/biontech-grunder-sahin-und-tureci-die-kampfer-gegen-die-pandemie-T2AANGWUCFBSPEXTNHZTVJHJ3Q.html