Das Helikoptergeld und die Wissenschaft

27. März 2020

Die Krise macht das sichtbar, was sonst  unter der Oberfläche schlummert: Die
Wirtschaftswissenschaften haben in unserer Marktwirtschaft die Aufgabe,
wirtschaftspolitische Maßnahmen der Regierung zu begründen und Forderungen der
Wirtschaft an die Regierung theoretisch, einige würden sagen ideologisch, zu
untermauern. Dieses geschieht unter dem Deckmantel einer neutralen Wissenschaft, die aber
sorgsam darauf achtet, dass der Wirtschaft keine Steine in den Weg gelegt werden.

Nahezu jeden Tag können wir in Zeiten von Corona hören und lesen, wie die
altbekannten ökonomische „Rezepte“, die in den letzten Jahren als alternativlos
galten, unauffällig in der Versenkung verschwinden. Es sind Rezepte, die die
Umverteilung des Reichtums in der Gesellschaft gefördert haben. Sie haben auch zu
einer massiven Zunahme von prekären Beschäftigungsverhältnissen geführt.
Das Mantra der schwarzen Null, es ist vorbei. Ja, es werden sogar
Lösungsvorschläge, wie der Ruf nach „Helikoptergeld“, salonfähig. Helikoptergeld
wurde in der Vergangenheit von der Mehrzahl der deutschen Ökonomen massiv
abgelehnt.
Was bisher als Begründung herhalten musste, das ist jetzt nicht mehr wichtig, da den
Unternehmen die Gewinne wegbrechen, Insolvenzen drohen, Kapital „vernichtet“
wird.

Das alles gilt vor dem Hintergrund, dass von der Europäischen Zentralbank (EZB)
in der Corona-Krise keine große Hilfe zu erwarten ist. Denn die Politik der EZB und
ihrer Ökonomen ist gescheitert. Die EZB hat zur Absicherung der Wirtschaft die
Instrumente der Zinssenkungen und der Vermehrung der Geldmenge eingesetzt.
Diese Maßnahmen haben in den letzten Jahren für alle sichtbar nicht gegriffen. Die
Ziele der EZB wurden nicht erreicht. Auch Strafzinsen haben da nicht geholfen.
Deshalb sind größere Wachstumsimpulse nach der Corona-Krise von der EZB nicht
zu erwarten.
Helikoptergeld wäre daher nach Ansicht von Ökonomen eine letzte Methode, Geld –
an den Banken vorbei – direkt der Realwirtschaft zufließen zu lassen.

Bis vor kurzem war Helikoptergeld noch eine Idee von Außenseitern (John
Maynard Keynes 1936, Milton Friedman 1969: Stichwort: Moderne Geldtheorie). Wer
als „Laie“ die Frage stellte, warum der Staat nicht einfach Geld druckt und es direkt
an die Endverwender verteilt, ohne den zinsteuren Umweg über die Banken, der
wurde nicht erst genommen. Er wurde manchmal sogar verlacht.
Dabei hatte doch die amerikanische Regierung schon im Jahr 2008 zum ersten Mal
„Helikoptergeld“ verteilt. Sie verteilte in der Krise 130 Millionen Schecks über jeweils
600 US-Dollar im Gesamtwert von 78 Milliarden Dollar. Dieses Geld hatten die
Bürger zur freien Verfügung. Inzwischen nutzen dieses Instrument der Geldpolitik:
Australien, Hongkong, Japan und wieder die USA.

Der Grundgedanke beim Helikoptergeld ist folgender: Die Zentralbank verteilt Geld
direkt an die Bürger. Das geschieht einmalig, ohne Bedingungen, ohne
Rückzahlungspflicht, ohne Zinsen und ohne den Umweg über die Geschäftsbanken.
Sie kurbelt damit die Realwirtschaft an, denn für jede Konsumausgabe gibt es sofort
einen realen Gegenwert. Das ist der theoretische Ansatz, bei dem das Geld von
einer Zentralbank kommt und nicht von der Regierung.
In der Praxis gibt es jedoch einige Einschränkung bei der Verteilung. Heute geht es
auch nicht nur darum, die Konjunktur anzukurbeln, sondern die wirtschaftlichen
Folgen durch die Corona-Krise abzubremsen.

Die EZB ist nur für die Geldpolitik zuständig. Wenn ihre Geldpolitik heutzutage
keinen großen Einfluss auf das Wirtschaftswachstum der Nach-Corona-Ära hat, dann
bleibt für die Regierung nur die Finanzpolitik übrig, um die Wirtschaft anzukurbeln.
Der SPD-Finanzminister Scholz hat solche Maßnahmen angeschoben, um die
befürchteten Folgen der Wachstumseinbrüche abzumildern.
Die Regierung nennt einen Teil ihrer Maßnahmen dabei nicht Helikoptergeld sondern
Zuschüsse oder Transfers, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Inhaltlich ist das
dasselbe. Nur die Zielgruppe ist genauer bestimmten und eingeschränkt.

Wie aber reagieren unsere Ökonomen, die Wirtschaftswissenschaftler auf die
verstärkte Forderung nach Helikoptergeld? Irgendwie muss die Diskussion um das
Helikoptergeld etwas Bedrohliches an sich haben.
Wie anders kann es sonst erklärt werden, dass sieben in „Deutschland führende
Ökonomen“ am 10.03.2020 zum Helikoptergeld nur lapidar erklärten: „Die Lösung
des Helikoptergelds wäre schon technisch nur schwer umzusetzen, ganz abgesehen
von der fehlenden Zielgerichtetheit.“ Sie hatten der Regierung Vorschläge
unterbreitet, welche Maßnahmen aufgrund der Corona-Krise ergriffen werden sollten.
Dabei hatten sie als Ziel nur im Blick, dass das Wirtschaftswachstum möglichst
schnell wieder ansteigt. Von den einzelnen Menschen ist in diesem Zusammenhang
eher weniger die Rede.

FDP-Lindner hat die Einstellung dieser Ökonomen am 27.03.2020 in einem Interview
mit dem Deutschlandfunk so zusammenfassend formuliert:
„Der Staat geht mit Milliardenbeträgen in die Vollen, um sowohl die Corona-Epidemie
zu bekämpfen als auch die Wirtschaft vor dem Absturz zu bewahren. Dazu haben die
sieben führenden deutschen Wirtschaftsforscher geraten.“

Es gab im Interview eine Frage nach der Anerkennung (also einer bessere
Bezahlung) für die Menschen, die jetzt in der Corona-Krise bis an den Rand ihrer
Leistungsgrenze arbeiten. Dazu erklärte Lindner: „… ich finde es einigermaßen
merkwürdig, in der akuten Krise, wo wir dankbar sind für Menschen, die mehr tun als
ihre Pflicht, … , sofort eine Verteilungsdebatte führen zu wollen.“

Also: viele gute Worte, aber keine finanzielle Anerkennung. Das ist doch wohl ein
falscher Ansatz, auch für einen Lobbyisten der Marktwirtschaft.

Manfred Küter
27.03.2020